Integration im Waldorfkindergarten

Das Menschenbild Rudolf Steiners und die daraus entwickelte Pädagogik bilden die Grundlage für die heilpädagogische Arbeit in der Gruppe.

In der anthroposophischen Heilpädagogik sprechen wir nicht von behinderten Kindern, da wir das Defizit der Kinder nicht in den Mittelpunkt stellen, sondern vielmehr das, was wir diesen Kindern angedeihen lassen wollen - also die Seelenpflege.
Jedes seelenpflegebedürftige Kind - mag die Behinderung noch so gravierend sein – trägt gesund und altersgemäß Entwickeltes in sich.
Jede Behinderung, jede Entwicklungsstörung birgt besondere Begabungen und Fähigkeiten in sich, die durch spezielle Betreuung und Förderung in der sozialen Gemeinschaft wahrgenommen werden.
Unabhängig von konventionellen Lern-Leistungsmaßstäben können die seelenpflegebedürftigen Kinder sich individuell entfalten und Fähigkeiten erwerben, die die Kinder dann auch im Erwachsenenleben seelisch ausfüllen und ihnen die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ermöglichen.

In einer integrativen Gruppe profitieren auch die so genannten Regelkinder von den seelenpflegebedürftigen Kindern. Sie entwickeln ausgeprägte soziale Fähigkeiten. Die Regelkinder schätzen, mögen und akzeptieren jedes einzelne Kind in seinem So-Sein, wie es ist.
Im Prinzip ist ja jeder Mensch darauf angewiesen, mit seinen Stärken und Schwächen in der sozialen Gemeinschaft angenommen und integriert zu werden. So sollte der Integrationsgedanke in der heutigen Zeit selbstverständlich sein.

Für die seelenpflegebedürftigen Kinder ist es wichtig, dass der Tagesablauf heilsam gestaltet ist und auch präventiv auf die Entwicklung wirkt. Das heißt der Tagesablauf unterliegt einem täglich wiederkehrenden Rhythmus, der den Kindern Sicherheit und den notwendigen inneren Halt gibt. Ausserdem gehören dazu lebenspraktische Tätigkeiten, die immer im Sinnzusammenhang stehen und natürliche Prozesse widerspiegeln, z.B. Entwicklung vom Samen bis zur Frucht und deren Verarbeitung und Verzehr.

Während Kinder das Erlebte ihrer Umwelt auf ganz natürliche Weise nachahmen, bedarf es bei den seelepflegebedürftigen Kindern intensiver Wahrnehmung. Durch spezielle Förderung wird die Nachahmung angeregt, da sie eine wichtige Voraussetzung für das kindliche Lernen ist. Außerdem wird dadurch die Willenskraft stark angesprochen, die das Entwicklungspotential zur Entfaltung bringt.

Die Geschichten, Reime und Lieder, die der Reigen beinhaltet, werden mit entsprechenden Bewegungen gemeinsam in der Gruppe vollzogen. Besonders wichtig ist auch für die seelenpflegebedürftigen Kinder das Lernen durch Wiederholung. Ein Reigen wird z.B. vier Wochen lang täglich wiederholt. Hier ist sehr deutlich an den Kindern zu erleben, dass nach drei bis vier Wochen die Elemente des Reigens im freien Spiel durch Nachahmung wieder in Erscheinung treten.
Im täglichen Puppenspiel wird eine Geschichte mit der entsprechenden Landschaft und Figuren dargestellt. Für die Regelkinder reicht es aus wenn nur die Geschichten erzählt werden, die Vorstellungskräfte lassen die Bilder dazu entstehen. Im Gegensatz hierzu benötigen die seelenpflegebedürftigen Kinder Unterstützung durch weitere Sinneseindrücke. Diese Sinneseindrücke werden durch die figürliche Darstellung angesprochen, um die Puppenspiel-Geschichte in die Vorstellung bringen zu können. Auch hier wird im freien Spiel durch die Nachahmung wieder sichtbar, in wieweit die erzählte Geschichte aufgenommen werden konnte.


Die Sprache ist für einige Kinder eine anspruchsvolle, schwierige Aufgabe. Im wiederholten Erzählen des Puppenspiels, im täglichen Singen und Sprechen im Reigen, bei Fingerspielen und Liedern zur Jahreszeit, wird die Sprachfähigkeit der Kinder geübt.
Seelenpflegebedürftige Kinder bedürfen auch sowohl einer intensiven Förderung in der Grob- und Feinmotorik als auch in der Körperwahrnehmung. Die Eurythmie, eine Bewegungskunst mit Musik und Sprache, bietet hier eine gute Möglichkeit. Die Bewegungen in der Eurythmie sind den Körperströmungen und Bewegungen aus der Natur nachempfunden und regen im Körper die Selbstheilungskräfte an. Außerdem ist es wichtig, dass die Bewegung durch einen seelischen Impuls angesprochen wird, z.B. durch ein kleines Gedicht oder Lied. Besonders gut können die Kinder in eine Bewegung eintauchen wenn es zum Beispiel heißt 'wie ein Vogel fliegen' oder 'wie ein Frosch hüpfen'. Auch im gemeinsamen Spiel im Garten gibt es viele Möglichkeiten: Balancieren, Stelzenlaufen usw.

Es ist zudem wichtig, körperlich tätig zu sein und sich mit verschiedenen Materialien auseinanderzusetzen und so auch Körpererfahrungen zu machen. Zum Beispiel bei der Gartenarbeit, beim Filzen und Arbeiten mit Holz usw., aber auch im Feinmotorischen: Malen, Obst und Gemüse schneiden und beim Basteln. Zusätzlich bieten etwa die Spielmaterialien aus der Natur viele Erfahrungsmöglichkeiten: im Kaufladen gibt es Kastanien und Muscheln. Jede Kastanie ist anders geformt, jede Muschel weist eine andere Oberflächenstruktur auf; so können die Kinder die unterschiedlichsten Tasterfahrungen machen.


So wichtig die besondere Förderung der seelenpflegebedürftigen Kinder ist, so unerlässlich ist es auch, ihnen zu ermöglichen, einfach Kinder sein zu dürfen. Das gelingt in einer integrativen Gruppe, da jedes Kind seine Ergänzung findet und seine individuelle Entfaltungsmöglichkeit hat.
Jonas, ein sehr nachdenkliches Kind sagte in der Gruppe über ein seelenpflegebedürftiges Kind: „Der liebe Gott wollte aus unserem Paul einen ganz besonderen Menschen machen“. In diesem Sinne sind wir sehr dankbar für die besonderen Erlebnisse, die wir in unserer Gruppe mit unseren 16 Kindern erfahren dürfen.